Denn sie wissen, was sie tun

Julia Kendlbacher 29.01.2006

20 Jahre Soziale Bewegung im Amazonas

Sie kamen aus aller Wald, gesammelt an den beiden Häfen Porto Velho in Rondônia und Belém in Pará und von dort aus mit zwei Schiffen zum Zentrum Amazoniens, Manaus gebracht. Anlaß war das 20jährige Bestehen des Conselho Nacional dos Seringueiros (CNS), der Organisation Chico Mendes’, die sich bis heute für die Rechte der Kautschukzapfer und traditionellen Bewohner des Regenwaldes einsetzt. Über 350 Bewohner und Bewahrer der Naturschutzreservate Amazoniens kamen zusammen, um Bilanz zu ziehen und alte und neue Herausforderungen in Angriff zu nehmen.

Es hat sich viel getan in diesen 20 Jahren. Als Chico Mendes und seine Weggefährten 1985 noch unter der Militärdiktatur den CNS gründeten, dachte noch niemand an nachhaltige Entwicklung. Als er 1988 ermordet wurde, gab es im Amazonasgebiet noch kein einziges extraktivistisches Reservat; die Idee selbst war revolutionär und stieß auf heftigen Widerstand.

Gut ausgearbeiteter Nutzungsplan

Chico war der erste, der die Idee der “Reserva Extrativista (RESEX)” – extraktivistischer Reservate – propagierte. In diesen Reservaten leben kleine Gemeinden, die nach einem gut ausgearbeiteten Nutzungsplan kollektiv arbeiten und so mit traditionellen Methoden die Ressourcen des Waldes ernten, ohne ihn dabei zu schädigen oder zu dezimieren. Das Land bleibt Staatseigentum, seine Nutzung wird jedoch von den Vereinigungen der Gummizapfer und anderen Waldbewohner bestimmt.

Aus den RESEX kommen Produkte wie Kautschuk, Kokos- und andere Nüsse, Açai (die Spezialität des Nordens – eine Frucht, die gepanscht mit Fisch und Maniokmehl gegessen wird), Früchte, alternative Medizin, Fisch und wunderschönes Kunsthandwerk aus Holzresten, Kernen und anderen natürlichen Resten. Die Gewinne aus dem Verkauf dieser Produkte gehen direkt an die Gemeinden zurück.

Heute ist rund ein Drittel des Amazonasgebiet als Schutzgebiet deklariert, das meiste als Indianerreservate. 19 Reservate und 14 Küstenschutzgebiete sind bereits rechtlich gesichert; ihre Zahl wächst stetig. Gatão freut sich, daß mittlerweile immer mehr Gemeinden sich unabhängig und selbständig organisieren, um ihr Land zu schützen und kollektiv nachhaltig zu bearbeiten. Die Reservate sind fester Bestandteil der brasilianischen Amazonienpolitik. Zum Kongreß erschien sowohl der Gouverneur des Bundesstaates Amazonas als auch die Umweltministerin Marina Silva persönlich.

Es gibt also Grund zum Feiern in Manaus. Einer der alten Hasen, Atanagildo “Gatão” Matos, steht mit Tränen in den Augen auf dem Podium, als seine companheiros berichten, wie 2005, zwei Jahrzehnte, nachdem er gemeinsam mit Chico begann, für die Einrichtung geschützter Gebiete zu kämpfen, nun auch endlich sein Heimatort zum Reservat wurde. Dona Raimunda, die große alte Dame der Bewegung, ist glücklich, zu sehen, daß nach jahrelanger Arbeit nun auch die Frauen gestärkt und selbstbewußt sich für ihre Rechte einsetzen und an den Prozessen teilnehmen.

Hunderte von Namen auf der Todesliste der Großgrundbesitzer

Neben der Freude über das Erreichte mischt sich jedoch auch viel Wut und Trauer. Die Welt hat von Chico Mendes und Schwester Dorothy gehört, die brutal ermordet wurden, weil sie für den Erhalt des Regenwaldes lebten und arbeiteten. Über die mehr als 700 anderen, die mit ihrem Leben für den Einsatz für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur bezahlten, gab es meist nicht mal eine Randnotiz in den Zeitungen. Sie waren eben nicht international bekannt oder Ausländer. Doch hier kennt man sie, kennt man ihren Schmerz, ihre Kraft und ihren Mut.

Bis heute werden Aktivisten verfolgt, bedroht und umgebracht. Auf der Todesliste der “pistoleiros”, die von Großgrundbesitzer und Sojabauern angeheuert werden, stehen Hunderte von Namen. Erst vor Kurzem, am 26. Dezember 2005, wurde wieder einer abgehakt. João Batista starb in Rondônia mit vier Kugeln in der Brust, die Polizei hat die Ermittlungen bis heute nicht aufgenommen. Rondônia ist der Bundesstaat mit der höchsten Abholzungsrate des Landes.

Holzindustrie, Fleischindustrie und am Ende die Sojabauern

Der Kampf ist noch lange nicht zu Ende. Längst sind es nicht mehr nur die Holzfäller, die die Zerstörung des Regenwaldes vorantreiben. Eine ganze Industriekette hat sich gut organisiert, um am Raubbau zu profitieren. Nachdem die Holzindustrie riesige Flächen Wald abgeholzt hat und kein Baum mehr steht, übernimmt die Fleischindustrie und nutzt die so “gewonnene” Fläche als Weideland. Ist auch hier alles abgegrast, wird das Land an die Sojabauern übergeben, die der Erde endgültig den Garaus machen. Danach wächst nicht mehr viel auf diesem Gebiet.

Es ist kaum vorstellbar, daß hier einmal dichter Wald stand, mit Millionen Insekten, Vögel, Wildkatzen, Tapire und anderen Spezies, die wir nicht einmal erahnen und vielleicht nie entdecken werden. In Zahlen sieht das so aus: 2004 wurden alleine 27,200km2 Wald (über 4,5 Millionen Fußballfelder) abgeholzt, ein großer Teil davon illegal, die zweithöchste Entwaldungsrate in der Geschichte Brasiliens.[1]

Eine weitere Bedrohung stellen daneben auch Großprojekte wie Staudämme und die transamazonische Autobahn dar. Selten werden in solchen Fällen soziale und umwelttechnische Aspekte berücksichtigt.[2]

Biopiraterie und Bioprospektion

Selbst die Bewohner der bereits legalisierten Reservate müssen sich immer wieder gegen illegale Invasionen wehren; die staatlichen Behörden reagieren langsam, wenn überhaupt. Im nördlichsten Bundesstaat Pará ist die Regierung nach wie vor in den Händen der Großgrundbesitzer, die Justiz überwiegen korrupt und ein Leben schnell verloren.

Auch mit der Einrichtung der Reservate sind noch lange nicht alle Probleme behoben. In vielen fehlt es an Schulen, die Gesundheitsversorgung ist häufig sehr mangelhaft und die Bewohner überfordert mit Marktanforderungen, Verwaltung und Abrechnungen. Nicht wenige Vereinigungen arbeiten in kleinen Hütten ohne Strom, von Computern ganz zu schweigen.

So gibt es also auf dem Kongreß neben Freude, Anerkennung und Gedenken an die Opfer vor allem eins: viel zu tun. Die Teilnehmer erfahren, was Biopiraterie und Bioprospektion bedeuten und erarbeiten daraufhin eine Strategie, wie damit in den Reservaten verfahren werden soll. Es werden Petitionen erarbeitet, Vorschläge gemacht und Forderungen gestellt. Viel Text und Information, die verarbeitet werden müssen, in vielen Fällen von Leuten, die kaum lesen und schreiben können.

Keine armen, ungebildeten Bauern

Es wäre ein unmögliches Unterfangen, verstünden die Anführer des CNS nicht so perfekt, urbane Kopfarbeit mit amazonischer Tradition und Kultur zu verbinden. Wie kein anderer versteht es Gatão, komplizierte Themen in die Sprache seiner Leute zu übersetzen. “Hey, Galeere, jetzt kommt ein Thema, das ist schwierig für uns alle, da müssen wir mal richtig gut zuhören. Holt mal alle Streuner hierher und paßt richtig gut auf!”

Dona Raimunda stellt sich vor die Menge und singt die Lieder, mit denen sich alle identifizieren: “Dies ist ein schwerer Kampf, doch es ist unser Kampf und gemeinsam können wir ihn gewinnen.” Immer wieder wird gesungen, getanzt, gejubelt, werden Witze erzählt. Ich habe noch auf keinem Kongreß zu produktiv gearbeitet und dabei soviel Spaß gehabt.

20 Jahre CNS bedeuten auch 20 Jahre Überzeugungsarbeit, daß die Bewohner Amazoniens keine armen, ungebildeten Bauern sind, die keine Ahnung von Entwicklung und Politik haben, sondern sehr gut, wenn nicht am besten wissen, was gut für ihre Gemeinden und ihren Wald ist. Sie brauchen kein Mitleid und keine Almosen, sie verdienen Respekt, Anerkennung und unsere Unterstüzung für einen unschätzbaren Dienst, den sie Brasilien und dem Rest der Welt erweisen: sie schützen und bewahren den wunderbaren, einzigartigen, lebenswichtigen Regenwald.

Literaturangaben

[1]Imazon. Fatos Florestais da Amazônia 2005. Belém, 2005. Die höchste Rate wurde 1995 mit über 29,000km2 festgestellt.

[2]
1Wenigstens im Fall der Bundesstraße BR163 haben die Amazon Working Group, CNS und andere Organisationen mit großen Kampagnen und viel Öffentlichkeitsarbeit durchgesetzt, daß soziale Projekte miteinbezogen und die lokale Bevölkerung angehört wird.

Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21829/1.html

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